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Es ist wieder soweit: Die Schüler:innen der dritten Klassen der Kantonsschule Solothurn stehen vor einer wichtigen Entscheidung. In den nächsten zwei Wochen wählen sie ihr Ergänzungsfach für das vierte Gymnasialjahr. Ergänzungsfächer bieten die Möglichkeit, sich vertieft mit einem Fach auseinanderzusetzen, das den persönlichen Interessen entspricht. In den Gängen der Schule hängen Plakate, die die verschiedenen Angebote bewerben, und die Lehrpersonen nutzen die Gelegenheit, um in ihren Klassen für ihre Fächer zu werben.
Die Vielfalt der Ergänzungsfächer ist gross: Von Psychologie über Geschichte bis zu Physik oder bildnerischem Gestalten ist für jeden Geschmack etwas dabei. Viele Fächer werden sogar auf Englisch angeboten. Und auch Religion steht weiterhin zur Wahl – allerdings fristet es mittlerweile ein Schattendasein.
Ein schleichender Rückgang
Noch vor wenigen Jahren war das Ergänzungsfach Religion ein fester Bestandteil des vierten Gymnasialjahres. Aufgrund der grossen Beliebtheit entstanden sogar zwei Klassen. Der Anfang vom Ende kam jedoch mit einer Stundentafeländerung: Früher mussten die Schüler:innen zwei Ergänzungsfächer wählen. Eines war promotionsrelevant, das andere nicht. Religion wurde damals oft als nicht-promotionsrelevantes Fach gewählt.
Mit der Abschaffung des zweiten Ergänzungsfachs fiel diese wichtige Grundlage weg. Zwar wird Religion weiterhin jedes Jahr als Ergänzungsfach angeboten, doch die Anmeldungen sind über die Jahre so stark zurückgegangen, dass der Kurs seit vier Jahren nicht mehr durchgeführt wird. Die Fachschaft bedauert diese Entwicklung zutiefst und setzt alles daran, Schüler:innen für das Fach zu begeistern. Sie werben aktiv und versuchen, auf die Vorteile und die besondere Bedeutung von Religion aufmerksam zu machen – doch bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
Warum die Anmeldungen zurückgegangen sind, bleibt unklar. „Die Gründe für den Rückgang der Anmeldungen lassen sich nicht mit Sicherheit benennen“, erklärt Stephan Kaisser, Religionslehrer und ehemaliger Leiter des Kurses. Die Pandemie mag dabei eine Rolle gespielt haben: Früher war eine Studienreise nach Rom ein zentraler Bestandteil des Fachs, doch während der Coronazeit konnte diese nicht stattfinden. Doch selbst nach der Rückkehr zur Normalität scheint das Fach nicht wieder Fuss fassen zu können.
Kaisser erinnert sich an eine Zeit, in der die Schüler:innen sogar grössere Pläne hatten. „Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, mit der Klasse nach Istanbul oder sogar nach Jerusalem zu reisen“, erzählt er. Solche Überlegungen zeigten, wie begeistert und engagiert die Schüler:innen früher für das Fach waren. Umso bedauerlicher ist es für die Fachschaft, dass diese Zeiten der hohen Nachfrage und Begeisterung vorbei zu sein scheinen.
Religion verschwindet aus dem Lehrplan
Der Rückzug von Religion an der Kantonsschule Solothurn beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Ergänzungsfach. Auch als Wahlpflichtfach bzw. Grundlagenfach wird Religion nach WEGM (=Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität) in Zukunft nicht mehr angeboten. Dieser schrittweise Verlust wirft Fragen auf, denn Religion ist nicht nur ein Thema für Gläubige. Vielmehr vermittelt es grundlegendes Wissen über religiöse Zusammenhänge, das als Basis dient, um Geschichte, Gesellschaft und Kultur besser zu verstehen.
„Grundwissen über Religion bildet eine Grundlage, um Vorurteile abzubauen und gesellschaftliche Spannungen zu entschärfen“, erklärt Stephan Kaisser. Ohne ein Verständnis für die religiösen Hintergründe vieler Konflikte und kultureller Unterschiede wird es schwieriger, sich in einer globalisierten Welt zu orientieren und konstruktive Dialoge zu führen. Der Wegfall von Religion als Schulfach bedeutet daher nicht nur einen Verlust für die Allgemeinbildung, sondern auch eine verpasste Chance, jungen Menschen das nötige Rüstzeug für ein respektvolles und aufgeklärtes Miteinander mitzugeben.